Willkommen in Kuba – Erste Eindrücke von Havanna
Was für ein Auftakt in Kuba. Welt Explorer Andi Schnelli streunt durchs Gassenlabyrinth in Habana Vieja, Havannas Altstadt, verfolgt von aufdringlichen Jineteros, den kubanischen Schleppern. Begegnungen mit aufdringlichen und herzlichen Kubanern. Schnell merkt er, dass gegen Cash die Musik aufspielt und eine verspiegelte Sonnenbrille den Besitzer wechseln kann. Nur gibt’s kein Bier in Havanna. Durstig rettet er sich in sein Casa Particular, wo scheinbar, aber auch nur scheinbar alles gut wird. Eine Reisegeschichte von Kuba-Insider Andi Schnelli.
Das grösste menschliche Biotop Kubas
Kaum in Habana Vieja, der Altstadt Havannas, angekommen, streunte ich durch die engen Gassen, wie üblich ohne Plan, kreuz und quer, mich den Farben und Gerüchen hingebend. Oft verirrte ich mich, doch es war kein wirkliches Verirren oder sinnloses Herumirren – sondern vielmehr eine labyrinthische Entdeckungsreise durch die Irrungen und Wirrungen des, frei nach Leonardo Padura (Kubanischer Schriftsteller und Journalist), vielleicht grössten menschlichen Biotops Kubas.
Liess mich also treiben, der Weg als Ziel, die Impressionen in mich aufsaugend. Um mich ein Klangmeer, ich fühlte mich wie eingewattet in einem Misskonzert von laut schimpfenden Stimmen, war mitten in einem Rufen, Krächzen, Brüllen, um mich lautstarke Verhandlungen über oft absurd weite Distanzen, von oben nach unten, von links nach rechts, durch ganze Häuserschluchten, gefolgt von noch lauterem Nachfragen, Kopfschütteln, Händeverwerfen.
Über allem der allgegenwärtige Beat des Reggeatón, der jungen Musikrichtung, die sich seit 1990 aus verschiedenen lateinamerikanischen Musikstilen wie Reggae, Merengue, Hip-Hop und Dance-Musik entwickelt hat. Ein lautes Wummern und Stampfen.
Authentisch getrimmt für einen Peso
Dazu die stets genervt hupenden Ciclotaxi-Fahrer, sich durchwuselnd durchs dichte Gewühl, der Schritt zur Seite lebensrettend, meistens jedenfalls. Die Blumen- und Zigarrenverkäufer, oft kugelrunde Afrokubanerinnen, ganz in Weiss, Zigarre im Mund, wie ausgestopft, künstlich auf authentisch getrimmt, lebende Postkarten für einen peso, sí, solo un peso; nein, nicht peso cubano, nur der peso convertible, der eins zu eins fest an den Kurs des USD angebunden ist, zählt im wirklichen Leben!
Jineteros, die kubanischen Schlepper
Dann die Schlepper, die jineteros, lässig an jede nur denkbare Ecke gelehnt, mit NY-Caps und Goldketten vollbehängt, reinste Abziehbilder der Stars von drüben, ja von drüben, von Miami, Vereinigte Staaten von Amerika, der einzigen Welt, die in ihrer Welt wirklich zählt. Dich als Tourist von ewig weit her schon erkennend, musternd, einschätzend, um dir dann endlich die Frage aller Fragen zu stellen:
«De donde vienes? Amigoweriucomfrom? Woher kommst du, mein Freund?» Und bevor du es auch nur schaffst, den Mund zu öffnen, die obligate Folgefrage:
«Tschörmän oder türki, tschäpani, russki oder franski? Deutscher oder Türke, Japaner, Russe oder Franzose?» Um im gleichen Atemzug – triumphierend – die Antwort nachzuschieben:
«Claro es un suizo, claro, hablas muy bien español … Klar, du musst Schweizer sein, so gut wie du Spanisch sprichst…»
Um dir daraufhin übergangslos klarzumachen, was dir im Hier und Jetzt alles fehlt, was für ein armer Homo erectus du bist, ein Jammerlappen, der jetzt endlich getuntwerden will, a lo cubano, sí, claro!
Zigarren, Rum und Spiegelbrillen
Schon wirst du eingedeckt mit Zigarren, Rum, Spiegelbrillen, Strohhüten, Ziervögeln in Minikäfigen, mit der Mulattin von nebenan, der Grossmutter mit Selbstgestricktem, schon hast du ein casa, hast einen chofer mit Amerikanerschlitten, eine Frau, jünger als deine Tochter, besser gleich zwei, sí, así, bueno, alles für ein paar lächerliche pesos, bueno, amigo!
Und dir bleibt nichts übrig, als dich freizukaufen, nur los, nur weg, nur weiter, endlich abgeschüttelt, mindestens bis zur nächsten Ecke. «amigohhhweriucomfrom …». Ai pepe, klar verkriechst du dich in den nächsten Schuppen, egal wo, weg von der Gasse, schlimmer wird es nimmer. Denkst du. Weit gefehlt.
Rein in die Bar
Stürzt dich an den Tresen, sieben Kellner in Weiss dahinter, tief eingetaucht in heftigste und hochinteressanteste Diskussionen über Baseball, über Nagellack, über 52er Chevys – oder noch schlimmer, wild ihre Samsungs traktierend, als würden sie gleich die Welt retten, jawohl, nichts anderes als die Welt retten.
War es draussen Volldaueranmache, so kippt es drinnen ins absolute Nichts. Niemand sieht dich, niemand beachtet dich, du bist Luft, aber wahrscheinlich nicht mal das. Meine Reisegeschichte interessiert niemanden. Tja, der Durst muss warten, das fast tiefgekühlte cerveza, das kubanische Bier, gut sichtbar aufgestapelt im Glaskühltresor, das Bucanero, das Cristal, so nahe und doch unerreichbar, ai, wie es kitzelt im ausgetrockneten Gaumen, wie die Zunge lampt…
Hübsche Mulattin und die Musik
Also wendest du dich den Musikanten in der Ecke zu, die gleich losfiedeln, lostrompeten, losschmettern, die Keckste, die junge hübsche Mulattin, wird sogleich vorgeschickt, sie sülzt dich an mit Dollarzeichen in ihren Tiefseeaugen, mit dem Hut in der Hand, loswedelnd vor dir, los, los – «sí, un kuk, sí, solo uno, bueno. Nur ein Peso convertible, nur einer, danke.» Artig zahlst du – und schon kehrt umgehend wieder musikalische Stille ein, nur mehr das Samsung hacken, das Klicken der tiefgekühlten Biere, die staatsmännisch geführten Barkeeper-Gespräche, ohne Hast, ganz würdevoll.
Du machst einen weiteren Abgang, durstig, zerknirscht – aber schon weit erfahrener, die Strassenecken-Machos ignorierend, gleitest du aalgleich durch die Gassen, nicht links, nicht rechts schauend, den sombrero tief ins Gesicht ziehend, die verspiegelte Brille, dank sei dem weisen jinetero, bueno, so geht es…
An der Uferpromenade Malecón gestrandet
Ernüchtert nüchtern, aber unendlich viel weiser, renne ich also pfeilschnell, praktisch unsichtbar schnell zurück in mein neues casa particular, meine private Pension, typisch Kuba. Welche ich fast auf Anhieb finde! Nur zuerst geschätzte fünfzehnmal kurz in die falsche Gasse und wieder zurück gerannt, und darauf an der Uferstrasse Malecóngestrandet. Wie, wo, was jetzt?
Velotaxi chartern
Als Rettung bleibt mir nur das Chartern eines kubanischen Velotaxis, eines ciclotaxi – die Jungs kennen alle Gassen in Havanna. Der tätowierte Lockenkopf-Fahrer nickt, «sí, claro, nur grad um die Ecke» – was folgt, ist eine kurze, siebenstündige Ciclofahrt mit ohrenbetäubender Reggeatón–Beschallung – und der Preis: «solo 15 CUC, sí, claro», aber dann doch: Geschafft!
Herzlich willkommen im kubanischen Casa Particular
Oder fast geschafft … Jetzt nur noch sieben Stockwerke hoch, wegen der Dachterrasse, claro, es mejor, das bedeutet konkret: dreimal Kopf anschlagen im Treppenhaus, elfmal im Ganglabyrinth verlaufen, fünfmal an der falschen Türe klingeln, perdón, perdón.
Doch schon höre ich von oben die donnernden, aber rettenden Rufe, schon werde ich erwartet und theatralisch umarmt, ja zerquetscht in den kräftigen Armen meiner dueña, meiner kubanischen Zimmervermieterin. Ein Prachtsweib. Monströs, gigantisch, eine uneinnehmbare Festung. Mutter aller Mütter. Eine Matrone von Weltformat! Daneben ihr kleinwüchsiger Mann, leicht zitternd oder was?
Realsozialistisches Check-in
Sofort wird mein pasaporte eingesackt und alles über mein Leben in das Buch aller Büchereingetragen, fein säuberlich, versteht sich. Versteht sich, dass das dauert. Zwei Stunden später, eine Dörrpflaume, da wo mal meine Zunge war, scheint es geschafft! Ist ja so einfach und fix getan die paar kleinen, staatlich verordneten, realsozialistischen Formalitäten. Ab ins Zimmer, mir die klebrigen Kleider vom Leib reissend. Duschhahn aufdrehend, gleichzeitig Klimaanlage und Ventilator auf Sturmstellung, endlich die Befreiung, endlich. Ein tiefer Seufzer.
Tja, und wirklich – fast hätte es geklappt, fast – wäre da nicht just in dem Moment der Strom ausgefallen. Natürlich nur auf meiner Gassenseite, drüben geht das Leben unüberhörbar lautstark und fröhlich weiter.
Bueno, así es Cuba … darauf trinken wir endlich einen – wenn es dann endlich einen gibt.
© Copyright Andi Schnelli, editionkuba.ch
Cubanisado – Betrachtungen eines Kuba-Reisenden
1492 landetet Christoph Kolumbus in Kuba. Genau 500 Jahre später reiste Autor Andi Schnelli das erste Mal auf die Karibikinsel. Seither lässt ihn Kuba nicht mehr los, viele weitere Reisen folgten. Angeregt durch seine vielen Erlebnisse und manch unglaublicher Anekdote, verfasste er das Buch «Cubanisado – Betrachtungen eines Kuba-Reisenden.» Andi Schnelli schreibt mal kritisch, etwas politisch, dazwischen satirisch, oft ironisch, manchmal poetisch und durchweg humorvoll über seine Erfahrungen. Er zeigt das isolierte Land mit all seinen Facetten. Schonungslose Erzählungen und Reisegeschichten über das wirkliche und widersprüchliche Kuba.
Die Reisegeschichte über «Habana Vieja» ist eines der Kapitel aus dem Werk «Cubanisado». Bestellen kannst du das Buch über den Verlag editionkuba.ch